BIBLIOGRAFIE

Cosima Göpfert: ABGESTIMMT. Spannungsfelder mit Symbolkraft

Redaktioneller Beitrag im ARTPROFIL Kunstmagazin, Ausgabe 148/2022
ARTPROFIL Kunstmagazin (Hrgb.): Cosima Göpfert: Abgestimmt. Spannungsfelder mit Symbolkraft, Mannheim 2022, S. 12ff, 58. • ISSN  1430-4821

COSIMA GÖPFERT. ABGESCHMINKT

Einzelkatalog
Susanne Knorr, Kai Uwe Schierz (Hrgb.): Cosima Göpfert. abgeschminkt, Erfurt 2020.  
ISBN  978-3-942727-21-1

TEILEN & HABEN

VBKTh e.V. (Hrgb.): Teilen & Haben. Positionen der Gegenwartskunst, Erfurt 2020, S. 26ff.

KUNSTSPIELEKUNST

Kunststation Kleinsassen e.V. (Hrgb.): KunstSpieleKunst. Kunst verspielt, bewegt, interaktiv, Kleinsassen 2019, S. 20f.

COSIMA GÖPFERT. ZWISCHEN SCHWARZ UND WEIß

Einzelkatalog
COSIMA GÖPFERT. ZWISCHEN SCHWARZ UND WEIß, Verlag SchumacherGebler, Dresden 2018.
ISBN  9783941209527

MAGISCHE QUADRATE

Kunstwetthüringen e.V. (Hrgb.): Magische Quadrate, Mühlhausen 2017, S. 13. •  ISBN  8000203997437

LET'S BUY IT!  KUNST LIEB : KAUFEN BÖSE

Christine Vogt (Hrgb.): Let's buy it! Kunst und Einkauf. Von Albrecht Dürer über Andy Warhol bis Gerhard Richter. Kunst lieb : Kaufen böse, Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Kerber Verlag, Bielefeld / Berlin 2017, S. 47. •  ISBN  9783735603203

REFORMATION

Schwarzenberg (Hrgb.): ReFORMation. art-figura, Verlag Mike Rockstroh, Aue 2017, S. 40f.

IM ZEICHEN DES GOLDES

Schwabach (Hrgb.): Im Zeichen des Goldes. Ortung IX, Fürth 2015, S. 10f.

ENTROPHY

Liz Bachhuber, Bauhaus-Universität Weimar (Hrgb.): Entrop h y. Garbage and Art, Verlag der Bauhaus-Universität Weimar, Bad Langensalza 2011, S. 102f. •  ISBN  9783860684412

TEXTE


ARTIST STATEMENT

Cosima Göpfert

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ARTISTSTATEMENT

Mein künstlerisches Schaffen folgt zwei Werksträngen:
Zum einen arbeite und spiele ich konzeptkünstlerisch mit gesellschafts- und politkbezogenen Sichtweisen und codiere dazu Denkmuster und Materialen um. So entwickeln sich über verschiedene Testphasen hinweg interaktive, interventive, teils bizarre und dennoch meist schlichte Objekte, die mehrschichtig kommunizieren und damit eine freie Lesbarkeit bewahren. Betrachter:innen beziehe ich gern in meine Arbeiten ein. Hin und wieder gebe ich Anreiz zu einer kongreten Tat oder fordere direkt dazu auf.
Die zweite Werkgruppe bewegt sich im Bereich der Optical Art / Concrete Art. Hierfür setze ich immer wieder gleiche Einzelelemente musterbildend zu großen Reliefs zusammen und beziehe gezielt Licht und Schatten sowie Farbreflexionen mit ein.Vor dem inneren Auge entstehen um so mehr zusätzliche Linien, Formen und Muster, je länger sich die Betrachter:innen Zeit nehmen und das Auge sowie den Geist entspannen. Andere Arbeiten äußern sich eher über ihre schlichten, geometrischen Grundformen.
Für die Umsetzung all meiner Arbeiten greife ich meist zum Porzellan. Sowohl die formstabilen und witterungsbeständigen Eigenschaften, als auch der ambivalente Ruf von ästhetischer Hochwertigkeit und edlem Kitsch bieten eine Vielzahl von Spielweisen, wozu ich gern noch weitere Werkstoffe des Alltags hinzu ziehe.


Zur Ausstellung im Deutschen Bundesrat

ABGESTIMMT

Cornelia Nowak, Kuratorin und Leiterin der Grafischen Sammlung des Angermuseums Erfurt

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ABGESTIMMT

Cosima Göpfert und Michael Ernst im Weimarer Land


In der Verbindung von traditionellem Handwerk und bildender Kunst sehen Cosima Göpfert (*1981 Apolda) und Michael Ernst (*1973 Stolberg/Harz) den Nukleus ihres gemeinsamen, zugleich sehr eigenständigen Schaffens. Lebens- und Arbeitsmittelpunkt des Künstlerpaares ist das beschauliche, zwischen Erfurt und Weimar abseits der Hauptverkehrswege gelegene Dorf Bechstedtstraß im Westen des Landkreises Weimarer Land in Thüringen. Dessen Umgebung hatte einst Lyonel Feininger, Meister am 1919 gegründeten Staatlichen Bauhaus Weimar, solitäre  interdisziplinäre Kunstschule von heutigem Weltrang, mit Fahrrad und Zeichenstift erkundet. Hier, am Rande des Ilmtales, entstand das Refugium der beiden Aussteller mit Atelier, Werkstatt und Galerie, ein Ort, der weithin als Begegnungsstätte für Künstler, Sammler und Interessierte geschätzt wird. Gleichwohl verhalfen sie der Dorfkirche im benachbarten Grundstück zu neuer Aufmerksamkeit und Relevanz, initiierten dessen kulturelle Wiederbelebung als Stätte des Miteinanders wie der inneren Einkehr. Künstlerische Kreativität sowie soziales und kulturelles Engagement verstehen beide als Teil einer Lebenswirklichkeit, die Fragen der Gegenwart engagiert zur Sprache bringt und den Diskurs über historische Ereignisse, soziale Umbrüche und kollektive wie individuelle Veränderungsprozesse nicht ausblendet. Dies begründet sich einerseits mit ihren jeweils ausgeprägten individuellen Dispositionen, andererseits durch den Bildungsweg. Er führte Cosima Göpfert an die Bauhaus Universität Weimar zum Studium der Freien Kunst und Michael Ernst zur autodidaktischen Ausbildung im Metallhandwerk, deren Wurzeln in der väterlichen Kunstschmiede liegen und in internationalen Werkstätten ihre Vollendung fand. 


Im Lichthof des Bundesrates präsentieren Cosima Göpfert und Michael Ernst Ergebnisse ihres Schaffens aus jüngster Zeit: konzeptuelle Porzellanarbeiten und Metallskulpturen, die als diskursiv angelegtes, solitäres Gemeinschaftskunstwerk erhellende Einsichten erlaubt. Porzellan und Metall, deren Verwendung nicht nur in Thüringen eine lange Tradition hat, sind vielseitig eingesetzte Werkstoffe in Handwerk, Industrie und Forschung. Als stille Begleiter des Alltags sind sie Zeugen von Wohlstand, Kultur und Innovation, aber auch starker Veränderungen, ein Aspekt, den beide in ihren jeweils sehr unterschiedlichen Arbeitsansätzen integriert haben.


Cosima Göpfert folgt mit ihren Objekten und Installationen dem Konzept von Intervention und Umcodierung: materialbezogene Bedeutungszuschreibungen und Sehgewohnheiten werden in ihren Arbeiten radikal hinterfragt. Mit „Stepptease“ etwa, einem aus Barbiepuppen-Porzellanbeinen geformten, kugelförmigen Objekt, das nicht nur über den Tisch, sondern sinnbildhaft durch das Jahrhundert rollt, offenbaren sich Anspielungen auf Frauenbewegung und Arbeitswelt: Revuetänzerinnen etwa wurden bestaunt und zugleich verachtet. Ebenso drastisch verhandelt sie gegenwärtige Fragen zu Wohlstand und Versorgung. Ihre jüngste Arbeit, die raumgreifende Installation „Kleine Brötchen & warme Semmeln“ (2022), entstand in Auseinandersetzung mit globalen Fragen um Nahrungsmittelverschwendung und -knappheit. Wie selbstverständlich scheinen die im Raum schwebenden und auf dem Boden angehäuften kalkfarbenen Backwaren, produziert als Multiples im Porzellanwerk Kahla, verfügbar zu sein. Dem in Inhalt und Aussage verstörenden Kunstwerk liegt ein soziales Ansinnen zugrunde: ein Teil des Verkaufserlöses kommt dem Kinderhilfswerk zugute. Neben feministischen und humanitären Fragestellungen stehen strukturelle Exkurse im Fokus ihrer Arbeit. Sprudelnde Quellen (Serie „Pulse“), blühende Landschaften („Breeze“, 2020), Zellen und Parzellen („Cluster“) oder Verbindungen („Morse“) beschreibt die Künstlerin als sinnbildhafte Phänomene im Prozess realer Veränderungen. 


Michael Ernst widmet sich in seinen am Vorbild der europäischen Moderne geschulten Metallskulpturen und kinetischen Objekten den klassischen Konstanten von Raum und Volumen, Form und Bewegung. Den Skulpturen der Gruppe „Nexus“ beispielsweise liegt der Gedanke des „Zusammenwachsens in Balance“ (Michael Ernst) zugrunde: unterschiedlich gebogene Stahlbarren fügen sich – dem Begriff ‚Nexus‘ folgend – zu ‚Verbindungen‘, zu homogenen, kraftvollen Objekten, ‚Gefügen‘ oder ‚Verknüpfungen‘. Das harte, aber biegsame Material zwingt zu Maß und Proportion. In seinen kinetischen Objekten, die als Großplastiken im Freigelände Aufstellung finden, wird dies augenscheinlich, denn eine unkalkulierbare Komponente, die Windkraft, wird zur Partnerin des Künstlers und löst jene sanften Schwingungen und Rotationen aus, die sich im Ergebnis als raumzeichnende Bewegungen unter freiem Himmel abzeichnen. Michael Ernst erschafft hierbei meditativ anmutende, gleichnishafte Kunstwerke, die als Visualisierungen von Kräfteverhältnissen und Veränderungsmöglichkeiten weite Beachtung gefunden haben. 


Als der Weimarer Kunsthistoriker und Demokrat Edwin Redslob (von 1920 bis 1933 Kunstwart der Weimarer Republik) im Jahr 1972 seine Memoiren unter dem visionären Titel „Von Weimar nach Europa“ veröffentlichte, bestimmten starre Kräfteverhältnisse den Alltag der Menschen im damals geteilten Deutschland. Dass Cosima Göpfert und Michael Ernst mit ihrem Schaffen dazu beitragen können, dem europäischen Gedanken heute Kontur und Nachhaltigkeit zu verleihen, ist ein besonders wertvolles Ergebnis vergangener Jahrzehnte deutscher Geschichte. Das Motto der Thüringer Präsidentschaft „Zusammenwachsen um zusammen zu wachsen“ entspricht in wunderbarer Weise ihrem Selbstverständnis als Künstlerpaar. „Haltung zeigen, sich einmischen, positionieren und Verantwortung übernehmen“ – beide verstehen dies als Voraussetzung eines menschlichen Miteinanders, in dem die Freiheit der Kunst einen hohen Stellenwert hat.


Cornelia Nowak



ABGESCHMINKT

Philipp Schreiner, M.A. Kunstwissenschaftler

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Manifestationen in Porzellan – Cosima Göpferts Op-Art-Reliefs


„Die bedeutende handwerkliche und künstlerische Tradition des ‚Weißen Goldes‘ ist ja zu Ende des letzten Jahrhunderts durch die Verführung zur dekorativen Glätte und die kunstgewerbliche Verniedlichung in Verruf geraten, so daß sich bekannte Künstler nicht mehr mit diesem anspruchsvollen Werkstoff eingelassen haben.“, schrieb Arnold Bode, Begründer der documenta, in dem 1968 erschienen Band zur Ausstellung „ars porcellana. die rosenthal relief reihe“ im Kölnischen Kunstverein. Auf Bodes Anregung hin, entstand ab 1964 eine Reihe von Reliefs in Porzellan, die von den wichtigsten Künstlern jener Zeit gestaltetet wurden, darunter Henry Moore, Lucio Fontana, Victor Vasarely, Günther Uecker und Almir Mavignier. Ohne den Firmeninhaber Philip Rosenthal, der eine ganze Abteilung innerhalb der Produktionsstätten von Rosenthal Porzellan in Selb für die Herstellung der Reliefs bereitstellte, wäre dieses Unterfangen undenkbar gewesen.

Als sich Cosima Göpfert im Herbst 2018 für das Landesstipendium Bildende Kunst der Kulturstiftung Thüringen mit der SV SparkassenVersicherung bewarb, stellte ihr keine der Porzellanmanufakturen in Thüringen die eigenen Produktionsstätten zur Mitbenutzung in Aussicht. Dabei arbeitet die Künstlerin schon seit 2012 selbstständig mit Porzellan und vertieft dies seit 2016 in einem Werkzyklus von Porzellanreliefs. „Auf Grundlage meiner in den vergangenen Jahren entstanden Wandobjekte plane ich weiterführende Arbeiten, die sich ebenfalls aus wiederkehrenden Porzellanelementen zusammensetzen. […] Da die Herstellung der erforderlichen Stückzahlen von Porzellanelementen für größere Dimensionen in meinem Atelier nicht realisierbar ist, wird eine Zusammenarbeit mit erfahrenen Manufakturen, wie Weimar Porzellan oder KAHLA Porzellan, erforderlich. Eine erfolgreiche Kooperation würde mir auch bei zukünftigen Projekten nützlich sein. Das Stipendium möchte ich hierfür einsetzen“, formulierte Göpfert ihre Motivation in der Bewerbung für das Landesstipendium.

Dass es zu Beginn des Jahres 2020 tatsächlich zu einer Kooperation zwischen der Künstlerin und KAHLA Porzellan gekommen ist, erweist sich als wahrer Glücksfall. Göpfert konnte die nötigen Teile für die Arbeit ZU 100 ODER 1000 im Werk von KAHLA glasieren und brennen lassen, außerdem mit Hilfe der Experten in der Entwicklerwerkstatt von KAHLA Porzellan Modelle für spätere Abgüsse fertigen. Es ist ein Projekt, das sich nicht nur in die Traditionslinie einer in der Nachkriegszeit erneut etablierten Zusammenarbeit von Porzellanindustrie und Kunstschaffenden einreiht, sondern auch auf die lange Geschichte des Porzellans in Thüringen seit dem 18. Jahrhundert verweist. 

Die Mitwirkung der Industrie verändert die Herstellung der Porzellanreliefs erheblich. Ist es doch ein enormer Unterschied, ob die Kunstwerke unter den einfachen Bedingungen im eigenen Atelier oder unter den optimalen technischen Gegebenheiten einer Porzellanmanufaktur gefertigt werden.

Cosima Göpferts Brennofen ist circa 70 Zentimeter hoch und verfügt über einen Durchmesser von etwa 40 Zentimetern. Er steht in ihrem beengten Gartenhäuschen in ihrem Wohnort Bechstedtstraß. Der Ofen erzeugt eine maximale Brenntemperatur von 1.300 Grad Celsius. Nur wenige von Göpferts Porzellanfäusten lassen sich gleichzeitig darin brennen. Die Brennöfen der Porzellanmanufaktur KAHLA sind jeweils mehrere Meter hoch und breit. Sie entwickeln ohne Probleme eine Brenntemperatur von 1.400 Grad Celsius. In ihnen fanden reichlich 40 Fäuste auf einmal Platz. Im Vergleich fallen jedoch nicht nur quantitative Produktionsunterschiede zu buche, denn: Die Brenntemperatur bei der Fertigung von Porzellan entscheidet über das unvermeidliche Schrumpfen der Abgüsse und die Farbnuancen der Glasur. Der übliche Größenverlust zwischen Originalform und Abguss im Brand schwankt zwischen einem Sechstel bis zu einem Siebentel. Niedrigere Temperaturen führen zu cremefarbenen, weniger geschrumpften Resultaten, höhere Temperaturen lassen die Porzellangebilde dagegen etwas stärker geschrumpft, jedoch in strahlendem Weiß aus dem Ofen kommen. Feinheiten, die die Herausforderungen im Umgang mit dem Material deutlich machen und handwerkliche Versiertheit, gute Planung und Genauigkeit erfordern.


PORZELLANRELIEFS


Porzellan ist ein sehr harter und dichter Werkstoff, der gegenüber chemischen Einflüssen der Atmosphäre resistent ist. Er verändert sein Aussehen auch nach langer Zeit im Freien nicht, ist vollkommen witterungsfest. Durch den Einsatz mehrmals verwendbarer Gipsformen in der Herstellung ist Porzellan besonders gut für die Vervielfältigung geeignet. Die Formgenese erfolgt in  mehreren Schritten: Herstellung eines Modells, der sogenannten Originalform, Überführung in eine Gipsform, von der ein Abguss hergestellt wird (zumeist in hoher Stückzahl). Dieser erhält im Glühbrand bei 1.000 Grad Celsius die nötige Festigkeit, um anschließend glasiert zu werden. Die aufgetragene Glasur verbindet sich bei 1.400 Grad Celsius untrennbar mit der Abgussform. Farben und eventuelle Überzüge in Platin oder Gold werden aufgedruckt oder mit dem Pinsel aufgebracht und in einem dritten Brand bei 750 bis 850 Grad Celsius in die Glasur eingebrannt. 

Cosima Göpferts Werkreihe der Porzellanreliefs unterliegt einer systematischen Ordnung sich seriell wiederholender Formen. Die Grundlage bildet stets eine matt-schwarz pigmentierte Holzfaserplatte, auf der sie reliefartig mehr oder weniger tief in den Raum ragende Porzellanelemente aufbringt. Die Überwindung der Fläche und das Vordringen in den dreidimensionalen Betrachterraum ist ein Hauptmerkmal der objekthaften Reliefs von Göpfert. Pro Arbeit findet immer nur eine einzige Porzellanform repetitiv Verwendung – teilweise bis zu einhundert Mal.

Über das Jahr 2019 hinweg entstand mittels des Stipendiums ein erweitertes Formenrepertoire, das Göpferts bisherige Kompositionen um zahlreiche Varianten ergänzt und neue Impulse in ihrer Reihe der Porzellanreliefs setzt. Nach den bekannten Rauten, Halbkugeln, stilisierten S-Formen, V-Formen, Barbiebeinen und Männerfäusten werden nun Pyramiden, Kugeln, Kegel, Schalen, Ringe und Scheiben spielerisch und frei eingesetzt oder streng konzeptuell verbaut. Ersteres lässt sich nachvollziehen anhand der kleinen Serie mit dem Titel PULSE, in der die Künstlerin Porzellankugeln unterschiedlicher Größen in einer Streukomposition auf kreisförmigem, schwarzem Grund frei anordnet. In ihren WABEN hingegen dominiert eine rigide Ordnung, die einem genauen Muster folgt. Mit Platin überfasste Schälchen im Zentrum werden umringt von wabenförmigen Reihen aus platinierten und nicht platinierten Schalen, die sich abwechselnd und konzentrisch bis zum Rand der Holzplatte fortsetzen.


OP-ART


Op-Art steht für eine gegenstandslose, konstruktive Kunst, die sich Mitte der 1950er Jahre etablierte und durch optische Täuschungen bestimmte Effekte, wie illusionistische Bewegungen und Raumwirkungen, erzielt. Diese Wirkungen beruhen auf der Trägheit beziehungsweise mangelnden Auflösungsfähigkeit des menschlichen Sehapparates, also der binokular angeordneten Augen und der Bildverarbeitung im Sehzentrum des Gehirns. So werden durch die spezielle Beschaffenheit der Bilder, Reliefs und Skulpturen gezielt Flimmereffekte erzeugt. Zumeist entbehren diese Kunstwerke einer persönlichen Handschrift der Künstlerinnen und Künstler, denn sie werden häufig maschinell, teils auch industriell hergestellt oder aus der Vervielfältigung von Einzelelementen konstruiert. 

In der Arbeit PYRAMIDE reiht Göpfert auf einem schwarzen Sechseck dreiseitige Porzellanpyramiden aneinander, die sie, abwechselnd auf einer der drei Seiten liegend oder auf einem der drei Winkel stehend, in geringem Abstand zueinander auf der Platte montiert. Der daraus resultierende Verbund an Porzellanpyramiden ermöglicht diverse Lesarten, die sich je nach Fokussierung des Blicks auf einzelne Flächen der Pyramidenelemente oder auf elementübergreifende Formen ergeben. Im Detail erscheint jede Einzelform als dreiteilig gegliedert: drei gleichschenklige Dreieckflächen, die, bedingt durch Licht und Schatten, in drei verschiedenen Graustufen erscheinen. Richtet man den Blick auf das Gesamtbild, formieren sich zweidimensionale Rauten und sogar Illusionen von dreidimensionalen Würfeln. Deren plastische Modulation wird unterstrichen durch das Hell-Dunkelspiel der kleinen Pyramidenseitenflächen, wodurch der Blick verführt wird, weiteren Formen nachzugehen, die sich zwangsläufig unter die Hauptelemente von Würfeln und Rauten drängen.

In nochmals gesteigerter Form finden sich diese optischen Phänomene in der Arbeit WABE III. Die wiederkehrenden, kleiner werdenden und in sich gedrehten Sechseckformen erzeugen im Betrachter das, was weithin unter dem Begriff Vertigo-Effekt in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Er löst Schwindelgefühle aus, als ob der Boden unter den Füßen ins Wanken gerät.


MANIFESTATIONEN IN PORZELLAN


Ein neues Konzept innerhalb Cosima Göpferts Œuvre beinhaltet – über die manuelle Herstellung selbst entworfener Einzelteile hinaus – die Verwendung vorgefundener, industriell gefertigter Porzellanprodukte für den alltäglichen Gebrauch. Durch serielle Reihung und künstlerische Aneignung verlieren diese Produkte ihren ursprünglichen Kontext. Einerseits werden sie der Waren- und Konsumwelt entzogen, der praktische Gebrauch im Haushalt weicht dem kommunikativen Gebrauch im Kunstbetrieb, anderseits werden sie dem Kunstmarkt und somit neuen Verkaufsmechanismen ausgesetzt.

Die Arbeit ZU 100 ODER 1000, auf der 36 Porzellannachbildungen einer linken Männerfaust mit Kabelbindern montiert wurden, entfaltet ihre subversive Schlagweite (im metaphorischen Sinn) auf ganz andere Weise. Die politische Kraft der Gemeinschaft, die Kraft der Einhundert oder gar Tausend, wird hier konterkariert durch die Zerbrechlichkeit und Fragilität des Materials, aus dem die Fäuste bestehen. Hingegen dominieren in den einzeln präsentierten Männerfäusten, betitelt mit ES IRRT DER MENSCH ... (2017, 2020) und befüllt mit Konfetti, deutlich Ironie und Humor. 

Der Porzellanzyklus der gebürtigen Thüringerin besticht sowohl durch die intensive Auseinandersetzung mit maschinell und manuell hergestellten, seriellen Formen, die geistig-konstruktive Erarbeitung der Kompositionen, als auch durch ihr Interesse am Zeitgeschehen. In der gesellschaftskritischen Haltung – nicht plakativ hervortretend, sondern über die ironische Brechung von Bedeutungen sichtbar gemacht – und der Aktualisierung von Mitteln und Methoden der OP-Art spiegeln sich unverwechselbar ihre Interessen als Mensch und Künstlerin wider. In ihrer Aneignung und Neuinterpretation des kulturhistorisch so bedeutsamen Materials Porzellan werden sie manifest.

 1  Arnold Bode: ars porcellana. rosenthal relief reihe, in: Ausst.-Kat. „ars porcellana. rosenthal relief reihe“ 
     (6.9.–6.10.1968, Kölnischer Kunstverein), hrsg. von Kölnischer Kunstverein e.V., Köln 1968, S. 5.

ZWISCHEN SCHWARZ UND WEIß

Philipp Schreiner, M.A. Kunstwissenschaftler

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Zwischen Parallelität und Symbiose von Material und Konzept


Cosima Göpfert wandelt seit jeher auf unterschiedlichen künstlerischen Pfaden. Mal mehr und mal weniger weit voneinander entfernt, führt der eine entlang einer stark konzeptuell und damit entmaterialisierten Kunst, wie sie sich in ihren Interventionen, Installationen und Aktionen (WUNSCH- BRUNNEN, 2010; DAS KUNSTKARTELL, 2011; WERTZUWACHS DURCH WERTVERSATZ, 2014) manifestiert. Parallel dazu bildet ein handwerklich fundierter Umgang mit Material und Werkstoffen stets eine Art Ausgleichspfad. Nicht selten jedoch verlaufen diese Wege sehr eng beieinander, kreuzen sich vielleicht, denn Material und Konzept bilden in Göpferts Œuvre eine untrennbare Einheit (DER STEIN DER WEISEN, 2012; KAPITALISMUS, 2015; ES IRRT DER MENSCH …, 2017). Aktuell bewegt sie sich mit Vorliebe auf der Seite des Dynamisch-Visuellen, des Konkret-Konstruktiven, ohne dabei vollkommen den Blick für die andere, die konzeptuelle Seite zu verlieren. 

Als Schnittstelle dieser Betätigungsfelder fungiert die Serie MORS FROM MARS (2015−2017). Hier treffen die intensive Auseinandersetzung mit manuell hergestellten, seriellen Formen, die durchgängig vorhandene geistig-intellektuelle Ebene in Göpferts Arbeiten, als auch ihr Interesse für Politik und Zeitgeschehen aufeinander. Die jeweils quadratischen Tafeln zeigen horizontal und rechtsbündig aufgebrachte, runde Plättchen. Die matt-weißen Porzellanscheiben ziehen sich in mehreren Reihen über den zwischen Blau und Hellblau abgestuften Hintergrund. Die Kombination aus Weiß und Blau ruft automatisch erste Assoziationen eines Wolkenbildes, einer Himmelsdarstellung hervor. Der zweite Blick macht die strenge Formation der vermeintlichen Wettererscheinungen deutlich und löst die Wolkenassoziation schnell in Luft auf. Es gilt hier ein System, das mittlerweile veraltet und überholt erscheint, zu erkennen und zu entschlüsseln. Der Werktitel räumt ein, dass es sich um die Morsespra- che handelt, dass das Dargestellte ein Zeichensystem, eine Botschaft ist. Mit MORS FROM MARS thematisiert die Künstlerin gegenwärtige politische Ereignisse, wie die Überwachsungsproblematik durch multimediale Kommunikationsmittel im 21. Jahrhundert.

CLUSTER und GROBE MASCHE – Die visuelle Dynamik konstruktiver Einheiten

Seit 2016 erarbeitet Cosima Göpfert objekthafte Bildtafeln, deren Gestaltungsmittel der systematischen Ordnung sich wiederholender serieller Formen unterliegen. Die Grundlage bildet stets eine quadratische, in mattem Schwarz pigmentierte Holzfaserplatte, auf der sie reliefartig, mehr oder weniger tief in den Raum ragende, Porzellanelemente aufbringt. Pro Arbeit ist es immer nur eine einzige Form, die repetitive Verwendung findet – teilweise bis zu hundertmal. Die manuell hergestellten Einzelteile werden von der Künstlerin selbst ent- worfen, gegossen, gebrannt und, in manchen Fällen, glasiert. Der Helligkeitsgrad ihrer Erzeugnisse variiert jedoch gegenüber weiß strahlendem Haushaltsporzellan. Göpfert beeinflusst sehr bewusst den Brennprozess und senkt die Temperatur ihres Ofens auf 1300 anstatt der üblichen 1400 Grad Celsius. Folglich erscheinen die Teile in einem zarten Creme-Ton, der sich dem gewöhnlichen Alltagsweiß der Gebrauchsgegenstände entsagt. 

Für ihre Arbeiten CLUSTER verzichtet die Künstlerin auf die Glasur der Porzellanstücke. Streng geordnet sind die rautenförmigen Biskuits (so wird unglasiertes Porzellan bezeichnet) auf schwarzem Grund befestigt. Die Rauten sind nicht flach, sondern ragen leicht pyramidenartig in die Tiefe und öffnen somit das „Bild“ hin zum Raum. Diese Überwindung der Fläche und das Eindringen von Göpferts Tafeln in den realen, in den dreidimensionalen Betrachterraum, ist ein Hauptmerkmal dieser Werk- gruppe. Dem aufmerksamen Beobachter eröffnen sich Würfel, zusammengesetzt aus drei Rauten für je eine Seitenfläche der illusionistisch-körperhaften Erscheinung; an anderer Stelle setzen sich sechs zueinanderstehende Biskuits zu einem Sterngebilde zusammen. Deren plastische Modulation wird rege unterstrichen durch das Hell-Dunkel-Spiel der kleinen Pyramiden-Seitenflächen, wodurch der Blick verführt wird, mannigfach weiteren Formen nachzugeben, die sich zwangsläufig unter die Hauptelemente von Würfeln und Sternen drän- gen. Die Rautenformen zerfallen in Dreiecke differenziertester Abstufungen zwischen Schwarz und Weiß. Die Ordnung des Gesamtkonstrukts weicht auf, vorher kaum geahnte Binnenformen überwinden die schmalen schwarzen Stege, die aus dem matt-schwarzen Hintergrund unauffällig, aber als unabdingbarer Teil des Formgeflechts, zwischen den Keramikrauten in den Vordergrund drängen. Aufgeregt unterliegt das Auge den variierenden Formen und Graustufen, verfolgt es die visuelle Dynamik dieser konstruktiven Einheiten. 

Die Reliefs präsentieren sich in einem strukturierten Gewimmel gleichen Prinzips, aber unter veränderter Einzelformverwendung. Glasierte Versatzstücke ähneln einer stilisierten S-Form, die sich eng aneinander liegend in scheinbar klaren Linien horizontal und vertikal auf dem dunklen Untergrund verteilen. Die Summe der Teile macht es beinahe unmöglich, den Fokus auf diesem Ordnungsraster ruhig verweilen zu lassen. Zu groß sind die Wechselwirkungen zwischen schwarzem Hintergrund und weißen Objekten, zwischen schwarzen Windmühlen und den bauchig-geschwungenen Linien des glänzenden Porzellans. Diese serielle Wie- derholung der Materialstücke erzeugt einen neuen, einen eigenen Kontext, innerhalb dessen das Material selbst zum Bildthema wird 1

Cosima Göpferts Ansatz, das gleiche Materialstück seriell innerhalb einer Bildtafel in Rastern anzuordnen, findet man in ähnlicher Manier bei dem deutschen Künstler Peter Roehr, der in den 1960er Jahren mit industriell gefertigten Etiketten experimentierte, die er gleichmäßig geordnet nebeneinander klebte. Diese konstruktiven Arbeiten auf Papier bezeichnete er als „Montagen“ 2 . Im Aufbau gleichen sie den Objekten von Cosima Göpfert, bleiben aber der Zweidimensionalität verhaftet, optische Täuschungen oder visuelle Phänomene sind ihnen daher auch nur wenig inhärent. Wo Roehr auf der Fläche, auf dem Papier bleibt, dringt Göpfert weit in den realen Raum ein und erzeugt optische Effekte, die sich in einem visuellen Dialog mit dem Betrachter entfalten. Dass Göpferts All-Over-Strukturen auf eigens gefertigten und entworfenen Materialstü- cke basieren, unterstreicht die Unterschiedlichkeit in Wirkungsabsicht und Intension. 

Den Sehprozess dazu zu zwingen, über die Grenzen einzelner Formen hinauszugehen, etablierte sich in der Kunst des Konstruktivismus im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Vertreter wie Piet Mondrian und Theo van Doesburg erzeugten Bewegung und Dramatik, indem sie einfache geometrische Formen und Flächen einander zuordneten, gegenüberstellten, kombinierten. Das inhaltliche Geschehen der Bilder vollzog sich nun nicht mehr im Werk, sondern im Betrachter. 3 Dieses optische Spiel, die Vieldeutigkeit des Bildgeschehens, wie es sich gleichfalls in Cosima Göpferts Werken zeigt, sind Eigenschaften einer Kunstrichtung, die sich der anfänglichen konstruktiven Errungenschaften annahm, diese weiterführte, um sich ausschließlich mit visuellen Phänomenen zu beschäftigen: Mit der Op-Art etablierte sich in der Mitte der 1950er Jahre eine non-figurative, konstruktive Kunst, die sich diese optischen Täuschungen zu eigen machte und versuchte mit einfachsten Mitteln illusionistische Bewegungen und Raumwirkungen zu erzielen. 4 Nennenswerte Produzenten in diesem Sinne entstandener visuell-vibrierender Konstruktionen und täuschender Kippbilder waren François Morellet und Victor Vasarely. Letzterer spielte oft und gern mit dem Motiv des Würfels, den er poppig-neonfarben immer wieder neu inszenierte.

HOMMAGE – Mit Popkultur den Nagel auf den Kopf treffen

100 Barbie-Beine, vom Oberschenkel bis zur Fußspitze aus Porzellan, unglasiert, montiert auf schwarzem Quadrat sind auf das Gegenüber gerichtet. Eindrucksvoll und gleichzeitig bedrohlich wird man mit ihnen konfrontiert. Einzeln wirken sie harmlos, als serielle Entität ein wenig beängstigend, wie Pfeilspitzen, die in ihrem Flug gerade noch rechtzeitig festgehalten wurden. Der Moment der Konfrontation ist geprägt von großer Dynamik – die der innerbildlichen Struktur und der im realen Raum. Versuche den Kopf links oder rechts der vermeintlichen Bedrohung zu entziehen verlaufen im Nichts, offerieren hingegen Erfahrungen, die im klassischen Tafelbild nie, im Bereich der Skulptur durchaus gegeben sind: Die Veränderung der Betrachterposition ist verbunden mit Veränderungen der Ansicht und damit der Form, der Erscheinung – Bewegung herrscht im Innen wie im Außen. Für Göpfert stellt HOMMAGE eine vielseitige Huldigung dar: Einerseits ist es ein noch immer lebendiges, aber umstrittenes Relikt der Popkultur (1959 wurde die Puppe erstmals auf der American Toy Fair in New York präsentiert). Andererseits versteht die Künstlerin ihr Wandobjekt als Hommage an die Frau an sich. Künstlerische Inspiration hingegen, und gleichzeitig eine weitere Huldigung, gilt den berühmten Nagelbildern Günther Ueckers. Göpferts Barbie-Beine funktionieren in einer Weise ähnlich zu diesen, indem sie „dem Betrachter aktiv und oft sogar aggressiv entgegen“ kommen: „[…] sie erweitern die Oberfläche materiell in den Raum hinein und erzeugen expressive, starre oder bewegte Strukturen“ 5 . Die Keramikmontagen als auch die Nagelbilder leben von ihren Materialpräsenzen und von Grenzüberschreitungen hinsichtlich eines klassischen Bildbegriffs. Als konstruktive Wandobjekte lassen sie sich vielleicht verallgemeinern. Ohnehin changieren sie irgendwo zwischen Op-Art, Konkreter Kunst und Montage. Doch beim Versuch sie zu greifen, helfen zumindest die etablierten Kategorien nur bedingt. 

Ob CLUSTER, GROBE MASCHE oder HOMMAGE, die Strukturen und Raster in dieser konstruktiven Werkgruppe der noch jungen Künstlerin, verleiten den Blick zu immer neuen Kombinationen, zu immer neuen Formen und evozieren visuelle Phänomene, denen sich der Betrachter hin- gezogen fühlt. Wenngleich, und dies ist vielmehr als Qualität, denn als Reduktion zu verstehen: „All diese ‚Figuren‘ bleiben flüchtige Hilfskonstruktionen bei dem Versuch, die unerbittliche Gleichförmigkeit zu überwinden, zu der sie sich alle wieder auflösen.“ 6

ES IRRT DER MENSCH … (2017)

Eine der aktuellsten Arbeiten Cosima Göpferts vermag den eingangs erwähnten Wandel zwischen den Wegen, den Wandel zwischen den Disziplinen, wieder mehr auf den Pfad des Konzepts zu führen: Auf einem Sockel mit schwarzer Holzplatte ragen drei identische Unterarme samt geballten Fäusten in die Luft. Auf ihrer Hülle aus glasiertem Porzellan bricht sich das Licht, werfen Fingerglieder Schatten, glänzen sie wie Pokale. Nur die Kraft dieser kanonischen Geste erhebt sie über ihr Anwärterdasein für den Trophäenschrank. Das Symbol ist stärker als die Form selbst, die Idee gewinnt überhand gegen das Material. Die Diskrepanz, das Spannungsverhältnis zwischen schönem Schein und Realität, offenbaren und verbergen sich gleichermaßen im Material. Witz und Ironie halten Einzug. Die Ambivalenz zwischen der Zerbrechlichkeit des Seins und der Widerstandskraft einer Geste geb(r)annt in Fäusten aus Porzellan – und Konfetti für die Feier danach. (Wohlgemerkt, handelt es sich hier um die linke Hand, die zur Faust geballt wird.) 

Dieses spielerisch-humoristische Element spricht aus vielen Arbeiten der Künstlerin. Sei es die Nachbildung eines der bekanntesten Handgranaten-Modelle, der MK2, aus Porzellan, gefüllt mit Lachgas (HGR-E942 / DER KRIEG, 2012) oder ein essbares Denkmal für einen Wolkenkratzer in Jena, aus Keks und Zuckerguss (VENUS DES OSTENS, 2013). 

Die Arbeiten von Cosima Göpfert schöpfen ihren Gehalt aus den unterschiedlichen Wegen, aus den verschiedenen Ebenen ihrer Kunst. Im Spannungsfeld von Parallelität und Symbiose zwischen Material und Konzept entstehen intellektuelle und formale Vibrationen. Die geistige wie visuelle Ambiguität ihrer Werke zeugen, neben deren handwerklich fundierter Fertigung, von großer Qualität. Unabhängig davon, welchen historischen, zeitgeschichtlichen oder politischen Themen die gebürtige Thüringerin sich künftig widmen wird, ihre künstlerischen Ideen wird sie weiterhin nicht ohne das passende Material entwickeln.

 1  Meike Boldt: Wann ist ein Bild ein Bild? Materialsprache und Bildphilosophie in den Werken von Imi 
     Knoebel und Peter Roehr, in: Serielle Materialität. Imi Knoebel und Peter Roehr, Ausst.-Kat. hrsg. von 
     Babett Forster/ Claudia Tittel, Jena 2013, S. 16. 
 2  Vgl. Serielle Materialität. Imi Knoebel und Peter Roehr, Ausst.-Kat. hrsg. von Babett Forster/ Claudia Tittel, 
     Jena 2013. 
 3  Ebd.,S.92/93. 
 4  Markus Stegmann/ René Zey: Lexikon der Modernen Kunst. Techniken und Stile, Hamburg 2007, S. 113. 
 5  Marlene Husung: Günther Uecker, in: AUFBRUCH. Malerei und realer Raum, Ausst.-Kat. hrsg. von 
     Alexander und Silke von Berswordt-Wallrabe/ Britta E. Buhlmann/ Erich Franz, Heidelberg 2011, S. 170. 
 6  Erich Franz: Malerei und realer Raum, in: AUFBRUCH. Malerei und realer Raum, Ausst.-Kat. hrsg. von 
     Alexander und Silke von Berswordt-Wallrabe/ Britta E. Buhlmann/ Erich Franz, Heidelberg 2011, S. 19. 

Eröffnungsrede der gleichnamigen Ausstellung auf Burg Ranis

THE OTHER SIDE

Manuela Dix, M.A. Kunsthistorikerin

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Guten Abend meine Damen und Herren,


ich freue mich nun schon zum zweiten Mal die Ausstellung im Rahmen der Literaturtage auf der Burg Ranis eröffnen zu dürfen und das mit einer Künstlerin, deren Werk nicht nur – wie man so schön sagt – „erfrischend anders“ ist, sondern mich immer wieder aufs Neue fasziniert und mich neue Arbeiten stets mit Spannung erwarten lassen. Das künstlerische Schaffen von Cosima Göpfert ist meines Erachtens einzigartig in der Thüringer Kunstlandschaft und zeichnet sich durch Originalität, Witz und eine ganz eigene Ästhetik aus.

Auf der anderen Seite hätte sicher der ein oder andere Mann nichts gegen eine solche Aufmerksamkeit – ein Dutzend langer schlanker Damenbeine, gehüllt in adrette Kleidung. Es gibt für einen Mann sicher schlimmeres! Und genau hier beginnt das Dilemma zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Während die Frau diese Geste bereits als Beleidigung auffassen könnte, führt sie beim Mann möglicherweise zur Verzückung. Jedoch ist die Reduzierung der Frau auf ein paar Beine Symbol eines überholten, chauvinistischen Denkens – wenn vielleicht auch heimliche Männerfantasie, was die Arbeit „Wie lieb von dir!“ schließlich zum sinnfälligen Ausdruck der aktuellen Verunsicherung beider Geschlechter zwischen Tradition und Emanzipation erhebt.

Ähnlich wie das Nachdenken über längst hinfällige Schönheitsideale sollte auch die Existenz kriegerischer Auseinandersetzungen in unserer heutigen zivilisierten Welt eigentlich zu einem Relikt geworden sein, das man nur noch aus Geschichtsbüchern kennt. Momentan ist das Thema Krieg, wenn vielleicht auch anders genannt, aktueller denn je. Ein Krisenherd tut sich neben dem nächsten auf und es scheint kein Ende in Sicht – Da stellt sich doch die Frage, ob der Krieg zum Menschen dazu gehört. Ist er also Teil des menschlichen Wesens? Damit hat sich Cosima in ihrer Diplomarbeit im Jahr 2012 auseinandergesetzt und im Zuge dessen mit dem Porzellan-Objekt „HGr-E942“ einen sarkastischen Kommentar geschaffen – eine Handgranate aus einem glänzenden, edlen Material, das sofort das Auge anspricht und daher ein wunderbares Deko-Objekt abgeben würde, wäre da nicht dieser lästige Kriegskontext – und so jongliert Cosima ganz locker und ungeniert mit den verschiedenen Widersprüchen, welche die Granate in sich vereint: Ästhetik versus Symbolkraft, Zerstörungspotential der Waffe kontra Fragilität des Materials. Dies alles vereint sie spielerisch in einem Objekt nicht ohne abschließende Pointe, wenn der Betrachter erfährt, dass sich in der Granate Lachgas befindet, das wiederum eine völlig konträre Wirkung zu der der echten Handgranate entfaltet. Jedoch gibt es einen Wermutstropfen: wollte man in den Genuss kommen, das Lachgas erfahrbar zu machen, zöge dies die Zerstörung des wunderschönen Deko-Objektes nach sich.
Das Thema der Handgranate lässt Cosima nicht los – sind doch ihre Granaten mittlerweile so etwas wie ein Maskottchen geworden. 2014 folgt mit der Emaille-Arbeit „Ananas“ eine Erweiterung, in der sie die Granate ihrer Materialität befreit und sie damit zu einem bloßen Zeichen stilisiert. Die ursprünglichen Exemplare aus Porzellan, die einst zur Ikonisierung geführt haben, lässt sie nun die Überhöhung ihrer selbst anbeten. In der Verharmlosung durch das Wort „Ananas“ zeigt sich aber umso deutlicher ein Charakteristikum ihres künstlerischen Tuns: ihr originärer, bissig schwarzer Humor. Und zweifelsohne lassen die Granaten in ihrer äußeren Form an eine Ananas denken, jedoch verbietet der Moralist in uns diese Assoziation. Schließlich hat man es hier mit einer tödlichen Waffe zu tun und die gedankliche Verbindung zu einem gut schmeckenden und gesunden Lebensmittel wäre geradezu höhnisch. Cosima, die solche Verbindungen nur allzu gern provoziert, gruppiert, während der Betrachter sich noch zögernd Gedanken über passende Analogien macht, die Porzellan-Granaten in ihrem unschuldigen weißen Gewand um die vor einem matten Blau hervorstechende Angebetete und lässt sie wie kleine Konfirmanden erscheinen, die zu dem Idol – dem Göttlichen – streben.

Doch erkundet Cosima auf ihren künstlerischen Streifzügen nicht nur die Abgründe unserer Zivilisation, auch geografisch hat sie bereits fremde Welten bzw. andere Seiten aufgesucht, wie etwa 2013 auf einer Reise quer durch den Osten von St. Petersburg bis zur – zu diesem Zeitpunkt noch Ukrainischen – Krim. Auch hier offenbart sich das Groteske hinter der vermeintlichen Banalität, das sie etwa in einer Fotoserie festhält. „Der russische Spatz“, so der Titel der Arbeit, den man auch auf einem Foto bewundern kann, zeigt sich durchaus offen für ein Stückchen einer beispielhaft westlichen Speise, der Pommes, die er, auf einem kapitalistisch Konsum-propagierenden Tisch sich befindend, dargereicht bekommt. 
Die Fotos, die sich zunächst wie Schnappschüsse generieren, machen Cosimas Talent der genauen, sezierenden Beobachtung sowie ihr Gespür für den Augenblick, in dem sich das Gewöhnliche ins Besondere wandelt, besonders deutlich. Die zwei Herren in legerer Freizeitkleidung etwa, die auf einer Bank vor dem majestätischen Prunkbau des Katharinenpalastes in Puschkin-Stadt sitzen, könnte der Betrachter zunächst als das Bildensemble störend erachten. Jedoch stellt sich heraus, dass besonders der linke Herr zu einem äußerst stimmigen Farbarrangement des Fotos beiträgt, wenn das Gold des Tores und das Blau der Pfeiler mit den auffällig rot-orangefarbenen Streifen des Marken-Trainingsanzuges einen harmonischen Dreiklang bilden.
Die körperliche Erfahrung der Zugreise kann man schließlich an der Arbeit „Seismograf“ nachempfinden. Was zunächst wie eine freie Zeichnung anmutet, in der der Linie Raum gegeben wird, ist tatsächlich eine Aufzeichnung eines selbst hergestellten Seismografs, der die Bewegungen des Zuges während Cosimas Fahrt von St. Petersburg auf die Krim festgehalten hat. Vergegenwärtigt man sich das Auf und Ab der Linien, erhält man eine ungefähre Ahnung, wie komfortabel eine solche Fahrt ist, vor allem, wenn es sich um einen Schlafwagen handelt – das Wörtchen „holprig“ scheint da ein wenig euphemistisch zu sein. Gleichzeitig könnte man bei dieser Linienführung auch geneigt sein, kurz ein, zwei Gedanken an die politische Situation in diesem Lande zu verschwenden.


Nichtsdestotrotz besitzen diese Aufzeichnungen einen hohen ästhetischen Wert, was Cosimas Arbeiten generell zueigen ist. Auch für ihre Emaille-Arbeiten trifft dies zu – ein Material, das seit einiger Zeit Einzug in ihr Schaffen gehalten hat. Während der Fokus ihrer früheren Arbeiten auf der Beschäftigung mit Porzellan liegt, setzt sie sich nun verstärkt mit Emaille auseinander und kommt hier zu ungewöhnlichen Lösungen. Gleichzeitig lässt sich feststellen, dass mit dem Materialwechsel auch eine Verschiebung der künstlerischen Richtung stattfindet. Denn während vor allem ihre Porzellan-Arbeiten direkter und zynischer in ihren Aussagen sind, geht sie in ihren neueren Arbeiten subtiler vor. Diese sind deswegen nicht weniger „gehaltvoll“, vorrangig jedoch minimalistischer im äußeren Erscheinungsbild.


So nähert sie sich der konkreten Kunst an, wie in dem Werk „Mors from Mars“, bei dem auch hier zunächst die äußere Form, also der ästhetische Aspekt, hervorsticht, die jedoch nicht inhaltsleer daherkommt. Und nach wie vor hält sie an ihrer „Strategie“ fest, wenn sie den Betrachter zunächst mit schönen Dingen ködert – edles Material, glatte Oberflächen, ansprechendes Äußeres – während sie ihm gleichzeitig ihre „Medizin“ verabreicht. So nimmt sie sich des aktuellen Themas der Informationsgesellschaft und dem Bedürfnis eines jeden, alles erfahren zu wollen an, in einer Zeit, die Information als Währung begreift, allen voran die großen Konzerne wie google oder facebook. Der unbedingte Wille danach, auch die letzten Geheimnisse zu erfahren – die andere Seite restlos zu erkunden. Doch ist dies überhaupt möglich? Wissen wir denn etwa, was genau die Künstlerin mit Porzellan und Lack auf die Leinwand gebannt hat? Nein – wir müssen ihr erst einmal glauben, dass die Sätze dort stehen, die der Titel zu beinhalten vermeint – sind doch die wenigsten in der Lage, Morsezeichen zu entschlüsseln. Damit erzeugt Cosima ein Misstrauen, welches zeigt, dass es keine letztendlich gültige Wahrheiten gibt, denn: „Dort könnte ja alles stehen“. Und sofern man nicht des Morse-Alphabets kenntlich ist oder ein intelligentes Telefon bei sich hat, endet die Informationsflut ganz abruppt an dieser Stelle und man gibt sich ausschließlich dem Wohlwollen der Künstlerin hin.


Wenn man sich aber auf Cosima Göpfert und ihr Spiel einlässt – was ich unbedingt empfehle – sich nicht von den schönen Dingen blenden lässt, dann kann der Betrachter in eben jene Gebiete vordringen, zu denen sich Cosima bereits vor einiger Zeit aufgemacht hat und von denen sie immer wieder neu, immer wieder anders kund tut – eben von der anderen Seite.

DIE GROßE IRRITATION

Manuela Dix, M.A. Kunsthistorikerin

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Plötzlich und unvermittelt steht sie da! Einfach so auf dem Couchtisch, als gehörte sie schon immer da hin. Doch eigentlich hat eine Handgranate nichts auf einem Glastisch zu suchen und schon gleich gar nicht in einem Wohnzimmer. Doch mit ihrer glänzenden Oberfläche aus glatten, schneeweißem Porzellan hat sie sich einfach in die letzte Bastion der Gemütlichkeit gedrängt, als wäre sie eine schickes Designobjekt aus dem letzten Manufactum-Katalog. Und wer mag es ihr verdenken? Ihr Äußeres ist überaus ansprechend – ein edles Material, das sich so gut neben den silbernen Kerzenleuchtern macht. Doch irgend etwas stört die Eintracht. So recht will sich keine Behaglichkeit in Gegenwart dieses Gegenstandes einstellen. Es ist das Objekt an sich, das den Betrachter immer wieder daran erinnert, dass er es nicht mit einem schicken Designerstück zu tun hat, sondern mit einem Kunstwerk.
Das Faszinierende an dieser Handgranate sind die diversen Widersprüche, die sie in sich vereint. Zunächst sticht die Ästhetik des Materials ins Auge: Porzellan, ein Werkstoff, der üblicherweise für schöne, dekorative Dinge verwendet wird. Dem gegenüber steht ein Gefühl der Abscheu, das sich einstellt in Zusammenhang mit dem Gedanken an eine Waffe. Mehr noch: das anheimelnde Wesen schöner Designobjekte, das dem Stoff Porzellan zugeschrieben wird, steht im krassen Gegensatz zu der Angst, die unwillkürlich auftaucht, wenn man sich mit einer derartigen Waffe konfrontiert sieht. Doch diese Handgranate ist harmlos – vielmehr noch: sie ist zu allererst einmal lächerlich. Denn die diesem Instrumentarium inhärente Zerstörungskraft ist ihm vollständig genommen worden. Es besteht sogar die Gefahr, dass das Objekt selbst beschädigt werden könnte, da Porzellan überaus fragil ist. Auch im Innenleben der Handgranate setzen sich die Gegensätze fort. Eine Füllung aus Lachgas, das sich durch eine schmerzstillende Wirkung auszeichnet, ist angesichts der Zerstörungskraft der eigentlichen Waffe eine mehr als zynische Entgegnung. 


Zynismus ist das Wort, das sich wie ein roter Faden durch Cosima Göpferts Werk zieht. So bewegt sie sich in ihren Arbeiten immer wieder zwischen Ernst und Humor, wobei sie nie die Schwelle zur Lächerlichkeit überschreitet. Eher begibt sie sich auf das nicht ungefährliche Gebiet des Galgenhumors, in dem sie sich souverän auszukennen scheint. Es ist die Ernsthaftigkeit der Themen, die die Arbeiten davor bewahren, in der Belanglosigkeit zu verschwinden. Doch kommen diese nicht mit dem moralischen Zeigefinger daher. Göpfert versteht es, die äußert komplizierte Balance zu halten, wenn sie unter dem Deckmantel der Komik relevante Themen der Gegenwart anspricht. Dadurch gelingt ihr, dem Betrachter durch ihre treffsicheren Kommentare zu aktuellen Diskursen eigentlich gehaltvolle Kost zu servieren, wie etwa in ihren Arbeiten, die sich mit aktuellen Geschlechterdiskussionen auseinander setzt. In Wie lieb von dir begegnen wir erneut dem Porzellan, diesmal in Form eines ungewöhnlichen „Blumenstrauß‘“, der sich bei näherer Betrachtung als ein Bund an Barbiebeinen zu erkennen gibt. Unwillkürlich schießen in Verbindung mit dem Titel Assoziationen wie: Was schenkt ein Mann einer Frau heute? Sind Blumen noch angebracht oder gilt das schon als anachronistische Unterdrückungsgeste des Mannes? Gleichzeitig ist die Figur der Barbiepuppe immer noch ein Symbol des völlig verschobenen Schönheitsideals heutiger Frauen, das es selbstverständlich anzuprangern gilt. Doch was gilt als schön und welche Vorstellung von schön haben Männer? Doch sollte man sich eben nicht an den Idealen der Männer orientieren? Männer wollen doch nur das Eine! Eine schöne, unangestrengte, schlanke Frau! Und das am liebsten im Dutzend! Damals, als Frauen zu Hause blieben, immer nett geKLEIDet waren und kleine Aufmerksamkeiten noch schätzen wussten. Das waren noch Frauen, wie Mann sie sich vorstellt. Rein und unschuldig, wie das weiße Porzellan, aber gleichzeitig schön und sexy mit langen, wohlgeformten Beinen. 


Doch nicht nur die Frauen haben Schwierigkeiten in der Findung ihrer Identität in einer Gegenwart, in der alles kann aber nichts muss. Auch der heutige Mann hat so seine Probleme, die natürlich mit seinem Ego zu tun haben. So demonstriert ihr Narziss, der in der Mythologie an seiner eigenen Eitelkeit zugrunde geht, wie das männliche Selbstverständnis unter den geänderten Verhältnissen leidet. Daher kann die Verunsicherung des Mannes nur in Gestalt eines deformierten Penisses daherkommen. An keinem anderem Körperteil lässt sich die Quasikastration des „starken Geschlechts“ besser versinnbildlichen, wenn die heutige junge, gut ausgebildete Frau ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt und die ihr bis vor nicht allzu langer Zeit verwehrte Karriere verfolgt. So bleiben die zutiefst irritierten jungen Männer in ihren „Kinderzimmern“ zurück und versuchen damit klarzukommen, dass die althergebrachten Rollenklischees plötzlich nicht mehr gelten sollen, während Mutti unten in der Küche das Essen vorbereitet. Denn: „Was soll der Junge denn noch alles machen? Er geht ja schon arbeiten. Da kann er nicht auch noch Kochen lernen“.
Bevorzugt geschieht diese Flucht der jungen Damen in die finanzielle Unabhängigkeit in den noch immer „Neue Bundesländer“ genannten Regionen und hier hauptsächlich auf dem Land. 


Da passt es nur zu gut, dass Cosima Göpfert eben dies in einer weiteren Arbeit thematisiert. Das „Gesellschaftsspiel für Jung und Alt“ mit Namen Ködderschd verweist auf das Phänomen der Landflucht. Schauplatz ist der Ort Ködderitzsch – ein Name wie eine Ohrfeige. Wenn man hier aufgewachsen ist, gibt es nur einen Weg: raus und zwar ganz weit weg; und genau das ist das Ziel dieser scheinbar heiteren Familienunterhaltung. Auch hier lässt sich hinter der heiteren Fassade ein Reflektieren über aktuelle Tendenzen der unmittelbaren Wirklichkeit erkennen.
Mit Ihrem Witz verschleiert die Künstlerin die Irritationen und Schieflagen der Gesellschaft. Aber wir haben es hier nicht mit einer rosaroten Wolke der Harmonie zu tun. Stets lauert unter dem humorvollen Mäntelchen ein bissiger und bitterböser Kommentar, der dem Betrachter das Lachen im Halse stecken bleiben lässt und ihn letzten Endes doch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück holt. Mit einer abgeklärten Dreistigkeit spricht Cosima Göpfert Dinge an, bei denen man in Gesprächen zumeist betroffen auf den Boden blickt und schleunigst zu unverfänglichen Themen wie dem Wetter wechselt. Doch hier gibt es kein Ausweichmanöver. Das verlegene Lachen wird im Keim erstickt und muss sich der kalten Realität stellen – ebenso wie der Endzwanziger, der irgendwann erkennen muss, dass es bei Mutti doch nicht am Schönsten ist und Frauen nicht unbedingt nur kochen und schön aussehen wollen.